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Wir müssen uns von alten Glaubenssätzen im HR verabschieden

Mar 14, 2024
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    Wir haben mit Jess Koch, Co-Founder der Initiative #hrespect, darüber gesprochen, was Personaler:innen im Kampf gegen Rassismus in ihrem Unternehmen tun können und wie sich die Rolle des HR verändert. Ein Plädoyer für mehr Mut in den Zukunftsthemen der HR!

    Nina: Jess, du bist Co-Founder der Initiative #hrespect, mit der ihr andere Personaler:innen für die Themen Rassismus und Rechtspopulismus sensibilisieren und gemeinsam ein Zeichen setzen möchtet. Wie siehst du die Rolle der Personaler:innen beim Kampf gegen Rassismus?

    Jess: Am Ende des Tages sind wir als Personaler:innen ein Teil der Gesellschaft und Rassismus geht alle in unserer Gesellschaft an. In meinen Augen ist jeder von uns tagtäglich dazu aufgerufen, Rassismus entgegenzutreten, und in der Rolle als HR hat man eine sehr verantwortungsvolle Position, was Fragen der Beschäftigung angeht. Daher ist es wichtig, dass wir als HR kritisch hinterfragen, welche Rassismen wir verinnerlicht haben. Denn wir sind schließlich diejenigen, die Menschen einstellen, ihnen Entwicklungspfade aufzeigen und sie bezahlen. Wenn man sich jedoch anschaut, dass Menschen mit Migrationshintergrund immer noch schlechter bezahlt werden, schlechtere Aufstiegschancen haben und generell schlechtere Chancen überhaupt eingestellt zu werden, dann sieht man, wie viel wir als HR noch zu tun haben.

    Was sind, deiner Meinung nach, die ersten Schritte, die man in seinem Unternehmen diesbezüglich gehen sollte?

    Das wichtigste ist zunächst einmal, das Thema auf die Agenda zu setzen. Jeder von uns hat Rassismen verinnerlicht, da kann sich niemand von freisprechen, und das heißt, dass das Thema gezwungenermaßen auch in unserem Arbeitsalltag präsent ist. Zudem verstehen sich Personaler und Personalerinnen i. d. R. als Kulturschaffende und das Thema Rassismus hat einen großen und sehr negativen Einfluss auf die Unternehmenskultur. Daher halte ich es für sehr wichtig, dass Personaler:innen sich des Themas annehmen und es im allerersten Schritt überhaupt auf die Agenda setzen.

    Weiterhin ist es essenziell, den Betroffenen Schutzräume zu bieten, also Anlaufstellen zu schaffen, in denen sie anonym kundtun können, dass sie Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Im nächsten Schritt muss nach Wegen gesucht wird, diese Dinge im Unternehmen anzugehen, ohne dass den Personen weiterer Schaden oder Nachteile entstehen.

    Generell ist es wichtig, dass Personaler:innen dafür sorgen, dass Missstände früh proaktiv angesprochen und angegangen werden, und nicht erst, nachdem es einen schwerwiegenden Vorfall gab. Denn in diesem Fall ist es häufig klar, wer das Thema angebracht hat und der- oder diejenige kann schnell als eine Art Nestbeschmutzer gelten. Aus dem Grund ist es wichtig, präventiv zu wirken und frühzeitig eine Struktur aufzubauen, die Rassismus entgegenwirkt.

    Was sollte man als Personaler:in deiner Meinung nach mitbringen, um sich Rassismus entgegenzustellen?

    Was ich hierbei auch beobachte, ist, dass viele Personaler:innen sehr gut darin sind, sich anzupassen. Aber bei dem Thema Rassismus brauchen wir genau das Gegenteil, nämlich Personen, die den Mund aufmachen und sich auch einmal quer stellen. Man muss sich hinter die Betroffenen stellen und sie im Unternehmen stärken, auch wenn es Gegenwind gibt.

    Welchen Handlungsbedarf siehst du speziell in HR-Abteilungen?

    Es gibt natürlich auch sehr viele positive Beispiele. Aber wenn man sich die stereotype Personalabteilung in Deutschland anschaut, zeigt sich, wie viel Verbesserungspotenzial hier noch liegt. Die Teams sind häufig sehr homogen und bestehen nicht selten ausschließlich aus Frauen, die – um es etwas salopp zu sagen – am Ende alle gleich aussehen. Wir erzählen anderen Abteilungen, dass sie vor der Selbstähnlichkeitsfalle aufpassen müssen und Leute einstellen sollen, die anders sind als sie selbst, aber beherzigen diese Ratschläge nicht in unserem eigenen Team.

    Zudem sehe ich, dass wenigen Menschen eine Chance gegeben wird, die keinen klassischen Lebenslauf haben, im Vergleich zu anderen Bewerbern. Wir schauen z. B. wahnsinnig viel auf Zertifikate, obwohl diese nichts darüber aussagen, ob man etwas wirklich kann in der Praxis. Damit machen wir uns das Leben leichter, denn wir können im Nachhinein immer darauf verweisen, dass der- oder diejenige ja ein Zertifikat hat. Wir riskieren nichts und das liegt daran, dass wir es genau so gelernt haben in unserer beruflichen Laufbahn. Und so suchen wir immer wieder nach derselben Person in diesen Rollen.

    Das ist sehr verallgemeinernd gesprochen und es gibt natürlich sehr viele positive Beispiele, aber das Muster gibt es noch sehr häufig.

    Wie können, deiner Meinung nach, HR-Abteilungen aus diesen Mustern ausbrechen und es schaffen, strategisch das Unternehmen mitzugestalten?

    Die Komplexität unserer Arbeitswelt nimmt stetig zu. Daher ist es notwendig, dass Dinge grundsätzlich anders angegangen werden und mein Ansatz ist dabei, Dinge komplett auf den Kopf zu stellen. Und das muss auch HR lernen. Wir müssen uns dafür von vielen alten Glaubenssätzen verabschieden, z. B. von dem Satz: „Die Mitarbeitenden sind meine Kunden“. Das funktioniert in der Praxis nicht und entspricht nicht der modernen Sichtweise des HR als Enabler.

    Zudem muss man sich fragen, ob dieser Perspektivwechsel mit dem vorhandenen Team funktioniert, denn die Funktion ändert sich grundlegend. Was klassische Personaler:innen sehr gut können, ist Prozesse zu bauen. Dabei haben viele von ihnen den Beruf ausgewählt, weil sie „etwas mit Menschen“ machen wollten. Und inzwischen ist alles, was man dann tut, Prozesse zu bauen, die einem diese Menschen vom Leib halten. Ich finde, wir sollten stattdessen wieder näher an die Menschen rücken und uns von den Aufgaben entledigen, die uns die Menschen fernhalten. D. h. wir brauchen eine ganz andere Form von Tools und Prozessen, um wieder näher an den Mitarbeitenden zu sein und eine andere Form von Service bieten zu können. Um sie enablen zu können, den größtmöglichen Nutzen für den Kunden zu generieren.

    People & Culture von morgen ist endlich da

    Entwickelt und visualisiert eine Skill-basierte Organisation mit einer kollaborativen Kultur

    Welche Prozesse kommen dir da in den Sinn, von denen wir uns entledigen sollten?

    Die Frage sollte dabei immer die nach dem Nutzen sein. In vielen Unternehmen gibt es inzwischen eine Sammlung von HR-Prozessen und -Strukturen, die diesen Nutzen nicht mehr stiften. Wenn man z. B. das klassische Zielvereinbarungsgespräch nimmt. Corona war das beste Beispiel dafür, wie unvorhersehbar ein Jahr sein kann. Es wurden im Januar 2020 Ziele vereinbart, im Dezember wurden diese Ziele wieder angeschaut und es ist nichts davon eingetreten. Am Ende wurden dann teilweise sogar trotzdem die Boni ausbezahlt, weil das Jahr so unberechenbar war und es schließlich um die Vergütung der Mitarbeitenden geht. Das zeigt, wie sinnlos der ganze Prozess von vorneherein war. Und unsere Welt wird immer unvorhersehbarer. Dass diese Art der Incentivierung mit klassischen Jahresboni keinen motivierenden Effekt hat, wissen wir auch schon lange. All diese Prozesse wurden jedoch mit so viel Aufwand und Mühe eingeführt, dass es schwerfällt, sich wieder von ihnen zu trennen. Bei all diesen Dingen sollten wir uns fragen, ob wir einen Mehrwert stiften, für die Mitarbeitenden in erster Linie, und damit indirekt für den Kunden. Wenn das nicht der Fall ist, sollten wir uns von dem Prozess verabschieden.

    In meinem Gespräch mit Leon Jacob hat er gesagt, dass HR häufig das Gefühl hat, sie haben nur eine Chance und müssen alles perfekt machen und sich daher nicht trauen, Dinge auszuprobieren. Im Sinne nach „bloß nicht scheitern“. Ich kenne den Gedanken tatsächlich auch. Was meinst du, woher das kommt?

    Die Rolle des HR befindet sich seit langer Zeit im Wandel und wir sprechen genauso lange darüber, wie HR sich verändern sollte. Wenn alle ständig deinen Mehrwert infrage stellen, dann hast du das Gefühl, perfekt abliefern zu müssen. Denn wenn du dir erlauben würdest, einen halbfertigen Flughafen abzuliefern, dann wirst du noch mehr infrage gestellt. Wir wollen gefallen und gehen daher nicht in die Konfrontation. Und man gefällt, wenn etwas perfekt ist. Und auch da kann man wieder sagen: Wenn der Prozess perfekt ist, dann liegt es nicht an dir. Wenn der Bewerber auf Papier super aussieht, dann lag es nicht an dir. So kann man die Fehler immer externalisieren, weil mein Prozess schließlich super ist.

    Bei den HR Pioneers gibst du unter anderem Trainings rund um das Thema agile HR. Was ist aus deiner Perspektive der derzeitige Stand von HR-Abteilung bezogen auf das Thema agiles Arbeiten?

    Es ist dabei so, wie bei anderen Trends auch, dass sie ziemlich lange brauchen, bis sie im Mainstream ankommen. Nehmen wir das Beispiel People Analytics. Das Thema gibt es schon ziemlich lange, aber es ist bis heute kein Standard in HR-Abteilungen. Es braucht häufig viel zu lange, bis sich im HR gewisse Notwendigkeiten durchgesetzt haben.

    Genauso verhält es sich mit dem Thema Agilität. Die Personaler:innen, die das Thema aus meiner Perspektive mit angehen, sind entweder diejenigen, die merken, dass sie mit ihrer Arbeit keinen Impact mehr im Unternehmen haben, oder die merken, dass das Thema im Unternehmen immer mehr Kreise zieht, es aber bisher an ihnen vorbei gegangen ist.

    Aber hier tut sich schon etwas und die meisten sehen, dass die Dinge sich ändern, dass das Business sich ändert, und die Anforderungen an die Mitarbeitenden, die gesucht werden.

    Was würdest du HR-Abteilungen für die Zukunft raten?

    Seid mutig! Ihr seid alle angestellt, wir haben ein großartiges Kündigungsrecht. Vergewissert euch, dass ihr nicht alleine seid, links und rechts geht es anderen Personaler:innen genauso. Fangt an, euch selbst zu hinterfragen. Stellt Menschen ein, die nicht so aussehen wie ihr, die keine perfekten Noten haben, Menschen, die ganz anders sind als ihr oder ganz andere Lebensläufe haben. Schmeißt eure eigenen Glaubenssätze weg. Beim Thema Rassismus: Traut euch, diese Dinge anzusprechen.

    Ich wünsche mir Mut, diese Zukunftsthemen anders anzugehen. Dass wir uns einfach mal ausprobieren, uns frei machen von diesem „alles muss perfekt sein“ und uns selbst eine höhere Fehlertoleranz zugestehen. Am besten sprechen wir auch gar nicht mehr von Fehlertoleranz, sondern von einer Lernkultur. Und dazu gehört auch, sich Dinge einzugestehen, wie vergangene Versäumnisse im Bereich des Rassismus. Sich der eigenen Verantwortung für die Veränderung bewusst zu werden, uns ihr zu stellen. Ich glaube, nur so kann HR dauerhaft relevant bleiben. Besonders im Zuge der Digitalisierung. Was HR schließlich so gut kann, ist Prozesse bauen und überall, wo Prozesse gebaut werden, kann digitalisiert werden. Am Ende bleibt uns nur ein Rückzugsort und der ist komplex. Das ist der mit den Menschen und z.B. der Frage, wie schaffe ich einen Platz, der frei von Rassismus ist? Also lasst uns diesen Bereich schöner ausgestalten!

    Vielen Dank für das spannende Gespräch, Jess!

    Jess Koch ist Agile Coach bei den hrpioneers, hat jedoch einen langjährigen Hintergrund im HR Management. Damit verbindet er die Themen HR und Agilität perfekt. Er war viele Jahre beim DGFP für Netzwerke zuständig und kennt die HR-Community damit wie kein zweiter. Als Co-Founder von #hrespect setzt er sich gemeinsam mit anderen Personaler:innen dafür ein, Rassismus in Unternehmen aktiv entgegenzutreten.

    Unter dem Motto „Love HR, hate Racism“ wurde die Kampagne #hrespect gestartet, um den Berufsstand der Personaler:innen für das Thema Rassismus und Rechtspopulismus zu sensibilisieren und eine Plattform für den Austausch zum Thema zu bieten.

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