Nicht jeder Agile Coach kann Agilität coachen

Diese Fehlannahme ist aus meiner Erfahrung einer der Gründe, weshalb agile Transformation scheitert. Damit agile Transformation gelingt, müssen viele Faktoren passen. Dabei ist die Abstimmungs- und Koordinationsfähigkeit der Teammitglieder für den Erfolg besonders wichtig. Die Mitglieder eines agilen Teams sollten sich untereinander aber auch darüber hinaus abstimmen und koordinieren können.

In der Realität ist die agile Transformation ein stufenweiser Prozess. Mitarbeiter werden (in der Regel) nicht ins kalte Wasser geschmissen, sondern durch Coaching und die Vermittlung von Methodenkompetenz unterstützt und begleitet. Allerdings greift die Unterstützung häufig zu kurz und das Coaching von externen Experten wird allzu schnell auf interne Mitarbeiter übertragen, ohne dass diese bereits ein hinreichend hohes Kompetenzniveau erreicht hätten. Ein solcher „Agile Coach“ hat selten die notwendige Fähigkeit bzw. den Pragmatismus, um Kollaboration als Fähigkeit zu vermitteln und entsprechende Strukturen zu schaffen oder zu entwickeln. De-facto sind sie für die agile Transformation ungeeignete Agile Coaches, denn sie können nicht, was der Name beschreibt: Agilität coachen.

Über die letzten Jahre habe ich viele sehr freundliche und empathische Agile Coaches kennen- und schätzen gelernt. Eine Eigenschaft, die die agile Community in einem positiven Maße prägt und so attraktiv macht. Wenn es aber um den fachlichen Austausch geht, dann fühle ich mich auch heute noch oft fremd.

Es gibt diese Momente, in denen ich mich eher in einem Esoterik Kurs als in einem Agile Coach Meetup fühle. Die Diskussionen um beispielweise Holokratie und Hierarchiefreiheit haben mich oft verwirrt und standen in krassem Gegensatz zu meiner eigenen Realität. Einen Grund für dieses Verwirrung sehe ich in einem unklaren Rollenverständnis, dass für den Agile Coach in der agilen Community gezeichnet bzw. diskutiert wird. Das wiederum bettet sich in eine weiterhin sehr inkonsistente Definition von Agilität als solche ein, die es für Neulinge schwer macht, Orientierung zu finden.

Agilität umfasst im Kern Strategie, Taktik und Teamwork gleichermaßen. Es muss also IMMER jemanden geben, der sich um diese Aspekte der Arbeit kümmert und die notwendige Kompetenz mitbringen. Für Unternehmen, die agil werden und bleiben möchten, sollte die Kernfrage also nicht lauten, ob man einen Agile Coach braucht, sondern, wie viele und mit welchen Fähigkeiten.

Wenn ich in der Vergangenheit nach Menschen gesucht habe, die Agilität managen können, dann war mir ein hohes Maß an Empathie als Schlüsselfähigkeit sehr wichtig. Vor dem Hintergrund, dass ein Agile Coach im Wesentlichen mit Menschen arbeitet, erscheint eine ausgeprägte Empathie selbstverständlich. Daneben sind mir das Verantwortungsbewusstsein und die Organisationsfähigkeit, gepaart mit einer gesunden Portion Pragmatismus ein besonderes Anliegen.

Agiles Arbeiten erfordert ebenso klare Strukturen, Prozesse und (Entscheidungs-) Hierarchien, wie „klassisches“ Arbeiten. Ich würde sogar sagen, im besonderen Maße. Verantwortlichkeiten, wie sie z. B. im Scrum Guide (PDF) definiert sind, müssen klar geregelt sein und die Zusammenarbeit muss organisiert werden. Das ist es, was ein Agile Coach im Sinne des Unternehmens und dessen Vision erreichen wollen und können muss. Ohne einen guten Agile Coach steigt das Risiko bei der agilen Transformation zu scheitern.

Über Moritz Bleu:

Moritz Bleu ist Scrum Master und Agile Coach und hat in den letzten sechs Jahren als Agile Lead die agile Entwicklung der movingimage EVP GmbH geprägt und entwickelt. Seine Expertise bringt er seit 2020 als Co-Founder bei der Entwicklung der People & Agility Plattform agyleOS ein. Als Speaker und Berater teilt er gerne sein Wissen mit anderen und lernt dadurch selbst dazu.